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Da waren wir wieder, nachts um vier, versammelt um unseren treuen
Busfahrer Janosch, bereit, uns tapfer sämtlichen Gefahren
der Straße zu stellen.
Greifensteine hieß unser erstes Ziel. Dort war eine entzückende
Felsen-Wald-und-Wiesen-Märchenkulisse und es machte gar nichts,
daß alles bloß aus Pappmache' war. Es gab sogar Leute,
die auf den Felsen herumkletterten, so täuschend echt sahen
sie aus.
Euter-Kalle, Ex-Titten-Karl, ExEx-Dr.TB, ExExEx-KMN, machte schon
in den ersten Minuten nach unserer Ankunft seinem neuen Namen
alle Ehre, mit der Folge, daß man sich in den nächsten
Stunden besser davor hütete, bestimmte Bereiche des Geländes
zu betreten. Über nähere Details schweigt die Pietät.
Es waren unendlich viele nette, betrunkene Menschen da und demzufolge
wurde es ein grandioses Konzert und ein grandioser Tourbeginn,
auch wenn unser aller Vadda leider verletzt und einbeinig unterwegs
war, weil er irgendwann irgendwo von irgendeiner zu hohen Bühne
gehüpft war.
Gottseidank fand sich eine samtgepolsterte Sänfte mit zwei
hübschen unbekleideten Krankenschwestern an jedem Ende, die
ihn für den Rest der Tour sanft schaukelnd und japanische
Lieder summend versorgten und über jedes noch so unwegsame
Gelände transportierten.
Wir verließen die Wald-und Wiesenbühne noch vor dem
Morgengrauen auf allen Vieren, nachdem wir vergeblich versucht
hatten, die Marmordusche und all die Kristallspiegel auszubauen,
um damit unseren Bus auszustatten, denn wir wußten, daß
ab sofort die Zeiten halbwegs frischer Luft im Bus vorbei sein
würden, denn für die nächsten Tage gab es keine
Duschgelegenheit.( Wie sich später herausstellte, hatte Jan
bei einem Wettbewerb des Vereins für sinnvolle Sparmaßnahmen
einen Gutschein im Wert von drei wasserfreien Tagen gewonnen,
den er in einem Anfall von Liebe gleich der Allgemeinheit gespendet
hatte.).
Der liebenswerte und auch durchaus aphrodisierende Duft
unserer Ausdünstungen fing auch sogleich an, sich auszubreiten
und in alle Ecken, Aschenbecher und Betten zu kriechen.
Janosch zog einmal tief das umherschwirrende Luftgemisch durch
die Nüstern und stürzte sich mit neuem Schwung auf die
Straßen.
Wir tranken alle wieder nur Milchmixgetränke mit Bananengeschmack
und es sollte die allerlängste Fahrt und fast Janoschs Meisterstück
werden. Püppi verschwand irgendwann aus dem Rückspiegel,
weil sie Handstand ohne Hände versuchte und danach sah sie
dermaßen verprügelt aus, daß sie ins Bett gesteckt
wurde. Possi tanzte um irgendwelche überdimensionalen Bügeleisen
und hielt auch dann noch lautstarke Reden, als längst alle
schliefen.
An der ungarischen Grenze war Janosch immerhin geistesgegenwärtig
genug, mal kurz zwischendurch die Augen aufzumachen und sich aus
einem Traum von schwäbischen Maultaschen zu reißen.
Trotzdem war er nicht vertrauenerweckend genug oder aber Titus'
Ausweis erinnerte zu verdächtig an einen international gesuchten
Kuhschänder, denn ein gieriger abgebrochener Zöllner
drang gewaltsam ein und bekam ein Problem mit Nils' Socken, die
in der Gegend herumstanden.
Nils wurde davon wach und hatte sofort eine Erleuchtung. Folgende
Worte purzelten aus seinem Mund und besänftigten sogar den
Zöllner: ÑDie fahrende Nervenheilanstalt auf Tour. Vorn sitzen
drei Reihen und gucken Fernsehen und hinten fickt ein kleiner
Italiener 'ne Patientin!Ñ
Dann schlief er wieder ein und die unumstößliche Wahrheit
war für immer ausgesprochen.
Der Zöllner nickte verständnis-sinnig und ließ
uns in das Land, wo Paprikaschoten an den Bäumen wachsen,
die Gulaschkanone erfunden wurde und feurige Zigeuner neben Trabis
am Straßenrand stehen und Schilder schwenken, die kein Mensch
lesen kann. Das tun sie schon seit Jahrhunderten, auch als sie
noch auf Pferden reiten mußten.
Sonnenblumenfelder, köstliches Himbeereis und eine traumhafte
Landschaft versprachen eine paradiesische Zeit, aber leider war
das alles nur von den ersten drei Reihen aus zu sehen, weil alles
so miniaturartig klein war, daß man es hinten im Bus auch
mit Brille beim besten Willen nicht erkennen konnte.
Aber das war letztendlich alles nicht so schlimm, denn irgendwann
geht jeder lange Tag und jede Autofahrt zuende, und als Janosch
am Steuer die Augen aufschlug, wußten wir, daß wir
unser Ziel erreicht hatten.
Eine wunderschöne Burgruine nach Art eines riesigen hohlen
Zahns erwartete uns, um uns zu verschlingen. Wir fühlten
uns gleich zuhause, obwohl wir kein Wort verstanden, aber das
geht uns ja überall so. Gottseidank nahm uns eine mal wirklich
reizende Sue als Dolmetscherin unter ihre Fittiche. Man nennt
sie auch die weise fröhliche Frau des Kalaka-Festivals, aber
nur in Indianerkreisen und die gehören ja nun wirklich in
einen anderen Erdteil.
In Ungarn weiß die Jugend auch Folklore noch zu schätzen,
da ging die Luzie ab, wie keine amerikanische Country- und Western-Combo
es jemals geschafft hätte. Aber obwohl unsere folkloristischen
Zeiten ja nun auch der Vergangenheit angehören, waren die
Ungaren nicht sauer oder allzu wählerisch. Sie waren schwer
begeistert, fast ebenso, wie von der Alkoholikerfamilie, die nach
uns kam und mit unbewegten Gesichtern in Zimmerlautstärke
irgendetwas zum besten gaben, was mit ein bißchen gutem
Willen an das Weihnachtsvorspiel eines Vorschulkindes auf der
Blockflöte erinnerte.
In dieser Nacht sollten und konnten wir nicht mehr weiterfahren.
Also beschlossen wir, uns zu integrieren und die deutsch-ungarische
Völkerfreundschaft zu vertiefen.
Wir folgten dem Irrlicht mit der blauen schmierigen Mülltüte
in der Hand, das uns mit spanisch-ungarischem Wortgemisch umtanzte
und landeten in einer Non-Stop-Pinte, vor der die ganze örtliche
Jugend auf der Straße saß. Wir hatten die Taschen
voll Forynth, die wir allerdings ehrlich durch den Verkauf von
Tonträgern aller Art erworben hatten und da keiner von uns
der Mathematik im Zahlenbereich über zehn allzu mächtig
ist, aber in Ungarn ja nichts wirklich teuer sein soll, kauften
wir Schnaps, Bier und Wein, soviel uns schmeckte. Und Kostverächter
sind wir ja nun wahrlich nicht. Deutung als berühmter Cola-Gourmet
freundete sich sehr schnell mit dem Irrlicht an und ward bis morgens
um sechs nicht mehr gesehen.
Der Rest unserer lustigen Truppe versammelte sich im Rinnstein.
Und wir entdeckten das eigentliche ungarische Nationalgetränk:
Volmos Körte, eine Art flüssiger Klebstoff mit leichtem
Birnenaroma.
Possi übte mit seinen neuen ungarischen Freunden, Bierflaschen
mit dem Feuerzeug zu öffnen, Robert bezauberte jeden und
jede mit Anekdoten aus unserem Leben, Püppi verliebte sich
in eine ungarische Lesbe und unser bester Dr. Tinitus Banani,
der große Euter-Kalle, wurde aus mindestens drei Gründen
zum Star des Abends, zum neuen ungarischen Nationalhelden, der
in den dortigen Geschichtsbüchern ab sofort eine Doppelseite
eingeräumt bekommt. Nicht nur, daß er freimütig
allen Anwesenden Schnaps und Bier aufzwang, nicht nur, daß
er den Mut bewies, sich der dicken Mama entgegenzustellen, die
gegenüber wohnte und um ihre Nachtruhe zeterte, nicht nur,
daß er der Polizei, die im unauffälligen roten Auto
vorfuhr und um Ruhe bat, einen großzügig bemessenen
Schnaps auf die Kühlerhaube stellte, nein, er verschenkte
die gesamten Überreste unserer Barschaft als wahrer Finanzminister
der Band an einen Obdachlosen, mit dem er aufgrund einer gewissen
Seelenverwandtschaft ins Gespräch gekommen war. Dieser verschwand
,aus verständlichen Gründen, sofort.
Später hat uns einer, der rechnen konnte, erzählt, daß
es ziemlich genau 333, 33 DM gewesen waren und das machte das
ganze noch großartiger. Euter-Kalle bekam zum Lohn Stubenarrest
und den Befehl, Nr. 7, den Teil seiner Persönlichkeit, der
für solche Taten zuständig ist, in Ehren zu entlassen.
Aber Nr. 7 wollte nicht gehen und ließ sich nicht mal mit
einer roten Rose ködern, die Deutung ihm zum Abschied schenkte,
was aber eigentlich klar war. Das einzige, was Nr. 7 wirklich
gefreut hätte, wäre noch eine Flasche Volmos Körte
gewesen, und da er die ja vom Dr. immer liebevoll zugeführt
bekam, gab es keinen Grund für ihn, abzuhauen.
Und so kam Nr. 7 auch noch am nächsten Tag mit nach Eger.
Der Gestank im Bus war inzwischen auf dem Niveau einer Bio-Mülltonne
im Hochsommer, aber daran gewöhnt man sich.
In Eger sollte es Millionen schöner Weinkeller geben, wie
Possi uns versicherte.
Einen haben wir dann auch nach fünfstündiger Wanderung
gefunden.
Euter-Kalles Schuh hatte inzwischen seine Sohle verloren und uns
fielen keine lustigen Wanderlieder mehr ein. Wir hatten zum zehnten
Mal "Mein kleiner grüner Kaktus" auf finnisch gesungen, da
purzelten Robert, Herr Jeh, Deutung und Possi in ein Kellerloch,
aus dem es muffig roch und wurden erst Stunden später wieder
gesehen. Wir machten uns aber keine Sorgen, denn ein kleines Hutzelmännchen
am Kellereingang grinste uns vertrauenerweckend an und winkte
mit einer verstaubten Weinflasche.
Der Rest unserer lustigen Wandertruppe landete in einer Art Biergarten,
wo es eine Band mit Kontrabaß gab, Bier und gottseidank
auch "Volmos Körte".
All diese Faktoren zusammengeworfen und kurz geschüttelt,
ergaben, daß die Geiger der örtlichen Combo uns direkt
in die Ohren geigten, weil Püppi ihnen zeigte, daß
sie sie toll fand und ihnen dauernd Kußhände zuwarf,
bis sie zu allem Überfluß auch noch auf dem Tisch tanzte
und Robert plötzlich wieder auftauchte und sich samt seiner
Geige einfach dazustellte. Eigentlich merkte keiner, daß
er kein ungarischer Kneipengeiger war.
Am Nachbartisch saß Alfred Biolek nach seiner Geschlechtsumwandlung.
Nr. 7 war äußerst anwesend und zertrümmerte all
seine Schnapsgläser, nachdem Püppi sie heimlich ausgetrunken
hatte, was zur Folge hatte, daß sie den Rest des Abend mit
dem Kopf auf dem Tisch lag und vor sich hinbrabbelte.
Wir kamen irgendwie auch alle wieder in unseren Bus und weiter
ging´s nach Österreich.
Dort hatten wir einen freien Tag und freie Tage sind Privatsache
und gehören nicht in ein Tourtagebuch. Es sei aber verraten,
daß wir gewaschen weiter nach Freiburg fuhren.
Als wir dort ankamen , wartete schon ein Hund auf uns und führte
uns in ein luxuriöses Zelt, das prompt unter einer tonnenschweren
Regenwasserlast über uns zusammenbrach.
Nils nutzte das Ende unserer Sauberkeit - denn entgegen aller
Gerüchte wäscht Regenwasser einen nicht sauber - und
legte Robert gleich für ein Foto in den Schlamm, während
die anderen dumm um ihn rumstehen mußten. Keiner beneidete
Robert wirklich. Nils bewährte sich an diesem Tag im übrigen
noch zusätzlich als Merchandising-Profi, so daß wir
ernstlich überlegten, das Duo Nils und Püppi leihweise
in eine Kuriositätensammlung zu geben. Aber erstens konnten
sie sich nicht einigen, ob sie Nippi oder Püls heißen
sollten und zweitens hätten wir eigentlich alle mitgemußt
und wer hätte dann noch Musik machen sollen?
Also ließen wir die beiden weiter Leute belästigen
und gaben uns dem großen Vergnügen hin, Tito und Tarantula
kennenzulernen. Die Jungs waren gnadenlos guter Laune und die
Brücke der Freundschaft war in Windeseile errichtet. Wir
blieben, bis wir mit Staubsaugern vertrieben wurden und
fuhren um viel Geld ärmer, aber viele neue Sprachen, Freunde
und Dreckkrusten reicher zurück nach Berlin, wo uns natürlich
niemand erwartete, denn Musiker sind ja einsame Menschen.
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